BGH, Beschluss vom 23.03.2022 – VII ZR 191/21
Köln, 15. Juni 2022
BGH, Beschluss vom 23.03.2022 – VII ZR 191/21: Führen geänderte oder zusätzliche Leistungen zu einem Stillstand von Baugeräten, welche für Folgeleistungen benötigt werden, besteht ein Anspruch aus § 2 Abs. 5, 6 VOB/B wegen diesbezüglicher Kosten.
Sachverhalt:
Der Beklagte beauftragte die Klägerin mit dem Gewerk Schadstoffsanierung und Abbrucharbeiten. Nach Beginn der Abbrucharbeiten wurde eine bis dahin unbekannte asbesthaltige Rohrisolierung vorgefunden, die saniert werden musste, bevor der Abbruch des Gebäudes weitergeführt werden konnte. Die Mehrkosten hierfür wurden von der Klägerin mit einem Nachtragsangebot geltend gemacht und von dem Beklagten bis auf die Gerätevorhaltung von einem Kettenbagger akzeptiert. In der Folgezeit stellte sich weiter heraus, dass Mehrleistungen wegen der höheren Asbestbelastung von PVC-Böden und asbesthaltigen Klebers notwendig werden würden. Der asbestbelastete PVC-Boden konnte nicht wie vereinbart, sondern nur in einem wesentlich aufwändigeren als dem vertraglich vorgesehenen Verfahren, entfernt werden. Dies hatte zur Folge, dass der Abbruch erst nach 32-tägigen Stillstand erfolgen konnte. Die hierdurch entstehenden Mehrkosten für die Sanierung wurden angeboten und beauftragt. Den Ausgleich der geltend gemachten Vorhaltekosten für zwei Kettenbagger akzeptierte der Beklagte hingegen nicht. Mit der Klage begehrte der Auftragnehmer die durch den Stillstand entstandenen Kosten.
Das Berufungsgericht (OLG Köln, Grundurteil vom 03.02.2021 – 11 U 136/18) hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, indem es Ansprüche aus § 2 Abs. 5,6 VOB/B bejahte. Einen Anspruch aus § 6 Abs. 6 S. 1 VOB/B verneinte das Berufungsgericht, da der Beklagte zur Anordnung der zusätzlichen bzw. geänderten Leistungen befugt war. Es fehlt mithin an der vorausgesetzten Verletzung vertraglicher Pflichten. Ebenso verneinte das Berufungsgericht einen Anspruch aus § 6 Abs. 6 S. 2 VOB/B i.V.m. § 642 BGB, da die Gerätevorhaltekosten nicht auf einer unterbliebenen Mitwirkungshandlung des Beklagten beruhen. Gegen das Grundurteil legte der Beklagte das Rechtsmittel der Revision ein. Die Revision wurde vom BGH zurückgewiesen.
Entscheidung:
Zunächst ist anzumerken, dass mit der gegenständlichen Entscheidung des BGH die Revision gegen ein Grundurteil, also ein Urteil nur über den Grund des Anspruchs und nicht über die Höhe, zurückgewiesen wird. Vor diesem Hintergrund verhält sich der BGH auch nicht zur Höhe des Anspruchs, während das Berufungsgericht hierzu - wegen der Urteilsart allerdings unzulässig - ausführte, die Berechnung sei mangels Einigung der Parteien auf der Basis der tatsächlich erforderlichen Kosten (§ 650c BGB) vorzunehmen. Die Hoffnung, dass der BGH mit der Revisionsentscheidung eine Aussage zur Bemessung der Vergütung von Nachtragsleistungen treffen würde, wenn die Parteien diesbezüglich keine Einigung erzielen konnten, wurde damit enttäuscht.
Zu den fehlenden Erfolgsaussichten der Revision führt der für Bausachen zuständige 7. Zivilsenat zunächst aus, dass § 6 Abs. 6 VOB/B, der den finanziellen Ausgleich bei Behinderungen und Unterbrechungen regelt, keine abschließende Sonderregelung mit der Folge darstelle, dass Ansprüche nach § 2 Abs. 5 VOB/B betreffend Stillstandskosten während der Unterbrechung oder Verschiebung der Bauzeit von vornherein ausgeschlossen seien.
Der Nachtrag betreffend die Sanierung der asbesthaltigen Rohrisolation stelle eine zusätzliche Leistung gemäß § 2 Abs. 6 Nr. 1 Satz 1 VOB/B dar. Daraus resultiere ein Vergütungsanspruch für Stillstandskosten des für die Folgegewerke benötigten und vorgehaltenen Baggers.
Gleiches gilt für die Vorhaltung der Baugeräte während der Entfernung der PVC-Böden. Auch diese mussten für die Folgegewerke vorgehalten werden, wodurch Stillstandskosten entstanden. Der diesbezügliche Anspruch folgt allerdings aus § 2 Abs. 5 VOB/B (geänderte Leistung).
Praxishinweis:
Mit seiner Entscheidung bestätigt der BGH die in der Rechtsprechung und juristischen Literatur herrschende Meinung und schafft insoweit Klarheit. Aufgrund der Art des angegriffenen Urteils ungeklärt, ist weiterhin die Frage, ob die Rechtsprechung des BGH zu § 2 Abs. 3 VOB/B (BGH, Urteil vom 08.08.2019 - VII ZR 34/18, IBR 2019, 536) auch auf §§ 2 Abs. 5, 6 VOB/B zu übertragen ist, was der herrschenden Meinung entsprechen würde. Mit vorgenanntem Urteil vom 08.08.2019 entschied der BGH zu § 2 Abs. 3 VOB/B, dass der neue Einheitspreis nach den tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge zu bemessen ist, sofern keine anderweitige Vereinbarung getroffen wurde. Spannend ist die Frage, wie die „tatsächlich erforderlichen Kosten“ bei Gerätestillstand und hier insbesondere beim Stillstand von Eigengeräten zu bemessen sind, da diese (z.B. Wertverlust, Steuer und Versicherung) nur schwer ermittelbar sind. Unter Anwendung der Rentabilitätsvermutung dürfte der Marktpreis entscheidend sein.
Etwaige Stillstandskosten sollten (wie im Ausgangsfall) zum Gegenstand eines Nachtragsangebotes gemacht werden. Hierdurch begegnet der Auftragnehmer dem Einwand, diese seien von der vereinbarten Vergütung für die „tatsächlichen“ Nachtragsleistungen erfasst. Alternativ kann in einem Nachtragsangebot klargestellt werden, dass die Geltendmachung etwaiger Stillstandskosten vorbehalten bleibt. Die erstgenannte Alternative vermeidet allerdings Streit und eröffnet den Weg zu § 650c Abs. 3 BGB, sofern man dessen Anwendbarkeit im VOB/B-Vertrag bejaht (vgl. hierzu: KG, Urteil vom 02.11.2021 – 27 U 120/21, IBR 2022, 169). Nach § 650c Abs. 3 BGB kann der Unternehmer bei der Berechnung von vereinbarten oder gemäß § 632a BGB geschuldeten Abschlagszahlungen 80 Prozent einer in einem Nachtragsangebot genannten Mehrvergütung ansetzen.