Adiós vorkalkulatorische Preisfortschreibung!

Köln, 9. September 2019

Mit Urteil vom 08.08.2019 – VII ZR 34/18 erteilt der BGH der vorkalkulatorischen Preisfortschreibung für unwillkürliche Mengenänderung gemäß § 2 Abs. 3 VOB/B eine klare Absage. Wir erläutern die Entscheidung und ihre Auswirkungen auf die baurechtliche Praxis.

Sachverhalt

Der Auftraggeber (AG) beauftragte den Auftragnehmer (AN) mit Abbrucharbeiten. Die VOB/B ist vereinbart. Der AN hatte u.a. für „Entsorgung von Bauschutt, Abfallschlüssel-Nr. 170106“ einen Einheitspreis von 462,00 EUR/to angeboten. Nach Angaben des AN setzt sich der Preis wie folgt zusammen: eigene Verladekosten in Höhe von 40,00 EUR/to, auf Angeboten seines Nachunternehmers basierenden Deponie- und Transportkosten von insgesamt 292,00 EUR/t, weiteren 60,00 EUR/to für die Containerstellung und schließlich einem Zuschlag von 20 % auf die Fremdkosten. Statt der ausgeschriebenen Menge von 1 to mussten 83,92 to entsorgt werden. Hierfür beansprucht der AN den Einheitspreis von 462,00 EUR/to. Der AG verlangt die Vereinbarung eines neuen Preises und Auskunft über die tatsächlichen Kosten der Entsorgung. Der AN teilt die Transportkosten mit 27,37 EUR/to und die Kosten für die Entsorgung mit 64,20 EUR/to, in Summe rund 92,00 EUR/to, mit. Auf dieser Grundlage berechnet der AG unter Berücksichtigung des Zuschlags von 20 % einen Einheitspreis von 109,88 EUR/to. Zu Recht?

Entscheidung

Das Berufungsgericht sah einen Einheitspreis von 150,40 EUR/to für die über 110 % hinausgehende Mehrmenge als berechtigt an. Dieser setzt sich aus den veränderten Transport- und Entsorgungskosten in Höhe von insgesamt rund 92,00 EUR/to zuzüglich des Zuschlages von 20 %, mithin 110,40 EUR/to, zuzüglich der unveränderten Verladekosten in Höhe von 40,00 EUR/to zusammen.

Diese Entscheidung bestätigt der BGH. Die Beklagte kann für die Menge, welche den ausgeschriebenen Vordersatz einer Tonne um mehr als 10 % überschreitet, einen neuen Preis verlangen. Voraussetzung für den Anspruch ist nicht, dass sich eine Änderung der veranschlagten Kosten kausal auf die Mengenmehrung zurückführen lässt. Für das Preisanpassungsverlangen ist nur gefordert, dass der Mengenansatz um über 10 v. H. überschritten wird.

Wie die Vergütungsanpassung vorzunehmen ist, regelt § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B nicht. Die Klausel gibt nur vor, dass Mehr- oder Minderkosten zu berücksichtigen sind. Im Übrigen legt die VOB/B die Verantwortung für die neue Preisbestimmung in die Hände der Vertragsparteien. Die Parteien können sich sowohl vor Vertragsschluss wie auch nachträglich über einzelne Teilelemente der Preisbildung verständigen.

Eine solche Verständigung liegt vorliegend dahingehend vor, dass der GU-Zuschlag von 20 % auf Fremdkosten bei der Bildung des neuen Einheitspreises heranzuziehen ist. Wenn und soweit sich die Parteien über die Preisbildung aber nicht einigen, so enthält der Vertrag eine Lücke, welche im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden muss. Danach ist entscheidend, was die Vertragsparteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten. Es entspricht insoweit der Redlichkeit und dem bestmöglichen Ausgleich der wechselseitigen Interessen, dass durch die Mengenmehrung keine der Vertragsparteien besser oder schlechter gestellt wird. Auf Seiten des Auftragnehmers gilt es eine nicht auskömmliche Vergütung zu vermeiden und auf Seiten des Auftraggebers eine übermäßige Belastung zu verhindern.

Unter Abwägung dieser beiderseitigen Interessen ergibt die ergänzende Vertragsauslegung, dass der neue Einheitspreise für Mehrmengen nach den tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge zu bemessen ist. Hierdurch wird, so der BGH, die Kostenwirklichkeit am besten abgebildet. Der AN erhält so für die relevanten Mehrmengen eine auskömmliche Vergütung. Es widerspricht Treu und Glauben, würde der AN aufgrund der Mengenmehrung auf Kosten des AG einen über die angemessenen Zuschläge hinausgehenden Gewinn erwirtschaften oder der AG von einem für den AN unauskömmlichen und unwirtschaftlichen Preis profitieren.

Eines Rückgriffs auf die vorkalkulatorische Preisfortschreibung bedarf es nicht um der Störung des Äquivalenzverhältnisses adäquat zu begegnen.

Die im Wettbewerb zustande gekommene Vergütungsvereinbarung bleibt unangetastet, da es für die vertraglich vereinbarte Menge zuzüglich des Toleranzzuschlages von 10 % bei der vereinbarten Vergütung verbleibt. Für die ausgeschriebenen Mengen muss das Synallagma von Leistung und Gegenleistung mit dem vertraglich verbindlich vereinbarten Preis unangetastet bleiben. Für die Bestimmung des neuen Preises gilt das Vertragspreisgefüge aber gerade nicht mehr. Eine vorkalkulatorische Preisfortschreibung und damit den Erhalt des Vertragspreisniveaus sieht der Wortlaut des § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B gerade nicht vor.

Weitere Auswirkungen der Entscheidung für die Praxis

Damit ist der Damm gebrochen! Die Überlegungen des BGH lassen sich auch auf geänderte und zusätzliche Leistungen gemäß § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B übertragen. Auch in diesen Klauseln ist eine vorkalkulatorische Preisfortschreibung nicht geregelt.

  • 2 Abs. 5 VOB/B sieht dann, wenn sich die Grundlagen des Preises für eine im Vertrag vorgesehene Leistung ändern die Vereinbarung eines neuen Preises unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten vor. Die Änderung der Grundlagen des Preises ist hier Anspruchsvoraussetzung. Die Bemessung des neuen Preises erfolgt unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten.

Gemäß § 2 Abs. 6 Nr. 2 VOB/B bestimmt sich die Vergütung für eine zusätzliche Leistung nach den Grundlagen der Preisermittlung für die vertragliche Leistung. Allerdings endet die Regelung hier nicht, vielmehr findet sich der Zusatz: „und den besonderen Kosten der geforderten Leistung“.

Die Überlegungen des BGH zur Abwägung der beiderseitigen Interessen ist auf die Vergütung geänderter und zusätzlicher Leistungen eins zu eins übertragbar.

Darüber hinaus kann hieraus folgender Schluss gezogen werden: Wenn keine der Vertragsparteien durch eine unwillkürliche Mengenmehrung besser oder schlechter gestellt werden soll und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass beiden Vertragsparteien von Anfang an bekannt ist, dass sich die ausgeschriebenen Vordersätze regelmäßig ändern, so muss dies erst recht im Falle einer Anpassung der Vergütung in Folge eines Eingriffs des Auftraggebers in das Leistungssoll gelten.

„Der BGH läutet mit seiner Entscheidung nicht nur eine neue Ära der Vergütung von Mehrmengen sondern auch der Nachträge ein.“
Dr. Birgit Franz

Abonnenten von IBR online finden hier und hier weitere Besprechungen der Entscheidung. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet detailliert über das Urteil.

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Alexander Hofmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und ArchitektenrechtMarcel Manz, LL.B., Rechtsanwalt